Lebzeitige Schenkung, Pflichtteil und die 10 Jahres Frist

Lebzeitige Schenkung, Pflichtteil und die 10 Jahres Frist

Schenkungen, die der Erblasser gemacht hat und die den Pflichtteil verringern, sind rechnerisch bei der Ermittlung des Pflichtteils zu berücksichtigen. Liegen diese Schenkungen 10 Jahre oder länger zurück, sind diese nicht mehr zu berücksichtigen.

Nicht immer ganz einfach zu beantworten und in der Vergangenheit bereits häufig Gegenstand von Gerichtsverfahren ist, wann diese 10 Jahres Frist zu laufen begonnen hat.

Als Faustregel gilt: Die Frist beginnt nicht zu laufen, wenn der Erblasser / Schenker nicht tatsächlich auf den geschenkten Gegenstand verzichten muss.

Wird ein Grundstück mit Haus unter Vorbehalt eines Wohnrechts oder Nießbrauchs am gesamten Grundstück übertragen, so beginnt die Frist nicht zu laufen, da der Erblasser tatsächlich nicht auf seine Rechte verzichten muss.

Anders hingegen, wenn nur an bestimmten Räumen eines Hauses ein Wohnrecht vorbehalten bleibt.

Mit Urteil vom 29.6.2016 (Az. IV ZR 474/15) hatte der BGH über folgenden Sachverhalt zu entscheiden:

Der  Erblasser und seine Ehefrau übertrugen an einen ihrer beiden Söhne ein mit einem Wohnhaus bebautes Hausgrundstück. Das Wohnhaus bestand aus 3 Etagen, an einer dieser Etagen behielten sich der Erblasser und seine Ehefrau ein Wohnrecht vor. Daneben wurden Mitbenutzungsrechte am Garten, den Nebenräumen und den Versorgungseinrichtungen des Hauses vorbehalten. Weiter wurde eine unentgeltliche Weiternutzung der Garage vereinbart.

Zudem bewilligten sie, dass der übernehmende Sohn als neuer Eigentümer das Grundstück bis zu einem Betrag von EUR 200.000,00 belasten könne, und zwar im Rang vor dem Wohnrecht.

Dem neuen Eigentümer war ohne Einwilligung der Schenkenden nicht gestattet, das Anwesen Um- oder Auszubauen. Auf eine Rückauflassungsvormerkung zur Sicherung dieser Beschränkung wurde ausdrücklich verzichtet.

Der Erblasser verstarb 19 Jahre nach der Übertragung.

Der weitere Sohn macht gegen seinen Bruder seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend. Er ist der Ansicht, dass die 10-Jahres-Frist nicht begonnen habe, da der Erblasser sich ein Wohnrecht vorbehalten hatte, eine Veräußerung der nicht mit dem Wohnrecht belasteten Räume  aufgrund des Zuschnitts des Hauses nicht möglich sei und auch nie eine Absicht der Eltern bestanden habe auszuziehen.

Der BGH hielt zunächst fest, dass eine abstrakte verallgemeinernde Betrachtung, wann bei Vorhaltung eines Wohnrechts die 10-Jahres-Frist beginne, nicht möglich sei. Es komme auf den jeweiligen Einzelfall an.

Entscheidend ist nach dem BGH, ob der Schenkende, also der Erblasser, auch nach der Übertragung den Gegenstand im Wesentlichen wie ein Eigentümer nutzen kann. Entscheidend sei, dass der Schenkende seine Eigentümerstellung nicht nur endgültig aufgibt, sonder auch darauf verzichtet, den Gegenstand im Wesentlichen weiterhin zu nutzen.

Der BGH bejahte diese Voraussetzungen und damit den Fristlauf der 10-Jahres-Frist:

Der Erblasser hatte sich lediglich an einer von 3 Etagen das Wohnrecht und an den Nebenräumen und der Garage das Mitbenutzungsrecht vorbehalten.

Entscheidend ist nach dem BGH, „dass den Eltern jedenfalls kein weitgehend alleiniges Nutzungsrecht unter Ausschluss des übernehmenden Sohns am Grundstück mehr zustand“.

Auch ist nach dem BGH unerheblich, ob die Schenkenden zu keinem Zeitpunkt an einen Auszug aus dem Haus dachten und damit eine Vermietung faktisch gehindert sei. Ausreichend ist, dass der übernehmende Sohn die Möglichkeit hatte, die nicht mit dem Wohnrecht belasteten Teile zu nutzen. Eine solche Nutzung muss nicht zwingend in einer Vermietung liegen, sondern kann auch durch Eigennutzung erfolgen.

Weiter war zu würdigen, dass das bewilligte Wohnrecht nicht durch weitergehende Regelung gegenüber der gesetzlichen Regelung ausgeweitet wurde.

Eine, wenn auch weniger gewichtigere Rolle, spielte auch die Belastungsmöglichkeiten des Grundstücks mit Grundpfandrechten im Umfang von EUR 200.000,00 für den übernehmenden Sohn.

Nicht gegen eine Aufgabe der Eigentümerstellung und damit auch nicht gegen den Fristablauf spricht nach dem Urteil des BGH der Umstand, dass der übernehmende Sohn das Grundstück nur mit Zustimmung seiner Eltern Um- oder Ausbauen durfte. Es waren keine Absicherungs- oder Rückfallklauseln für den Fall eines Fehlverhaltens des übernehmenden Sohns in den Vertrag aufgenommen worden.